Neben den Platzhirschen Spotify, Apple Music, Tidal und Co. gibt es im Musik-Streamingmarkt auch Angebote von Google. Bisher wurde das Google-Musikstreaming als „Google Play Music“ vermarktet. Play Music wird bis Ende 2020 abgeschaltet und durch „YouTube Music“ ersetzt, wie Google selbst berichtet.
Beide Dienste bieten die Möglichkeit, auch eigene Musik hochzuladen. Erfreulicherweise lässt sich die Play Music-Bibliothek selbst hochgelandener Songs sogar kostenlos zu YT Music übertragen. Jedoch ist das Streamen selbst hochgeladener Musik bei YT Music nur noch stark eingeschränkt möglich. Das ist eine Angebotsverschlechterung, die bestimmt gut für Google ist, für Musikhörer*innen ist es leider ziemlicher Mist.
Play Music: Kostenloses Streamen selbst hochgeladener Musik auf alle Endgeräte
Beginnen wir mir einem kurzen Rückblick auf das, was verloren geht: Play Music. Play Music war und ist ein guter Dienst, um Musik online zu hören. Der Service funktioniert auf Android und iOS, auf Smartphones und Tablets sowie über ein gut zu bedienendes Webinterface mit jedem Browser. Für einen Monatsbeitrag von den üblichen 9,99 € bietet Play Music eine Spotify-ähnliche Bibliothek von mehreren zehn Millionen Songs.
Was über Spotify & Co. hinaus geht ist die Tatsache, dass sich Play Music auch komplett kostenlos mit ausschließlich selbst hochgeladener Musik zum Streamen nutzen lässt. So war es möglich, bis zu 25.000 eigene Songs hochzuladen und überall abzurufen. Ich selbst habe das so gemacht und meine legal gekaufte Musik in der Bibliothek aus iTunes (ca. 15.000 Lieder, entspricht etwa 110 GB) vor ein paar Jahren nächtelang in Play Music hochgeladen. So konnte ich schließlich auf MEINE MUSIK immer und überall zugreifen und diese ebenso auf alle kompatiblen Geräte streamen wie beispielsweise Chromecasts, Smart TVs, WLan Boxen, Soundsysteme usw. usf. Das war toll!
YouTube Music: ‚Video first‘ und (Überraschung!) kostenpflichtiges Musik-Streaming
Ok, ich war doch schon im Play Music-Streaminghimmel, was ist denn passiert? Eine der für mich irritierendsten Änderungen betrifft die durch YT Music vorgenommene Unterscheidung zwischen kostenlosem Video-Streaming und kostenpflichtigen Audio-Streaming. Was heißt das? Wenn ich die YT Music-App auf meinem Smartphone starte und aus der App meine Musik beispielsweise auf ein Google (Nest) Home-Gerät oder einen Audio-Chromecast (ja ich weiß, die gibt’s nicht mehr) streamen will, dann erscheint dieser tolle Hinweis:
WTF? Ich kann meine selbst hochgeladene Musik nicht mehr kostenlos auf ein Audio-Gerät streamen, sondern nur noch auf ein Gerät mit Bildschirm? Und wenn ich selbst hochgeladene Musik auf ein Audio-Gerät aus YT Music heraus streamen möchte, dann soll ich gleich YouTube Premium abonnieren? Für eine einfache und grundlegende Funktion (Streamen selbst hochgeladener Musik auf Audio-Gerät), die bei Play Music immer kostenfrei war, soll ich jetzt 9,99 € für ein Abonnement von YouTube Premium bezahlen. Ich glaub, es hakt!
Die UX, das UI und die allgemeine Musikverwaltung: kein Vergleich
Als Mensch über 40 ist meine „Musikverwaltungs-Biographie“ ganz eindeutig von iTunes geprägt (hach iTunes 4.x…). Da iTunes nie zum Streaming-Dienst wurde, war ich über alle Maßen erfreut, eines Tages Play Music dafür nutzen zu können. Nach kurzer Eingewöhnung fand ich mich bei Play Music genau so gut zurecht wie bei iTunes, da es vergleichbare Funktionen bietet. Die Hauptkriterien zur Musikverwaltung waren bei beiden Diensten Interpreten, Alben, Titel und Genres; dazu kamen Wiedergabelisten/Playlists sowie ein algorithmisches Song-Radio (Genius bei Apple bzw. Schnellmix bei Play Music).
Überraschung Nummer 1: YT Music kennt keine Genres mehr. Was soll denn das bitte? Überraschung Nr. 2: YT Music macht weiterhin keinen Unterschied zwischen selbst hochgeladener Musik und den Abo-Angeboten. Bei Play Music habe ich stundenlang Musik mit meinen selbst hochgeladenen Titel als „Schnellmix“ (auch bekannt als Song Radio) hören können, das geht bei YT Music nicht, da jeder Aufruf der Funktion „Radio starten“ (so heißen die Schnellmixe hier) unmittelbar Songs von YouTube aufruft und die eigene Bibliothek ignoriert.
Unpassende YouTube-Verknüpfungen und fehlender Offline-Modus
YT-Music unterschiedet ebenfalls nicht zwischen Musik- und Videoempfehlungen und YouTube Abonnements. Sie schauen abends auf dem Sofa ein lustiges Musikvideo oder leicht exzentrischen Titel in Ihrer YouTube-App auf Ihrem Tablet an? Das beeinflusst direkt Ihre Empfehlungen innerhalb der YT-Music App. Wenn ich meinen Musik-Algorithmus durch das Schauen von YT Videos und das Abonnieren von YT Kanälen beeinflussen kann (und sich das auch nicht abschalten lässt), dann überlege ich mir manchen Klick lieber zweimal. Ich möchte mir doch nicht meinen algorithmischen YouTube-Stream durch ein bisschen Musikhören durcheinander bringen.
Außerdem ist der Offline-Modus von YT Music ein schlechter Witz. Ob Sie nun mobile Daten sparen möchten oder einfach gerade kein schnelles, mobiles Internet zur Verfügung haben (Stichwort „Edge-Land“): Play Music hat einen app-weiten Offline-Modus, bei dem die verschiedenen Ansichten übersichtlich und geordnet den auf dem Gerät vorhandenen Offline-Content anzeigen. Bei YT Music wird man stumpf auf eine einfache Liste heruntergeladener Titel geleitet, ohne weitere Funktionen sinnvoll nutzen zu können. Es ist ja nicht so, als hätte Play Music keine YouTube-Videointegration gehabt. Eine bessere Integration der YouTube-Videos wäre ohne großen Aufwand wesentlich nutzerfreundlicher möglich gewesen.
Fazit: das Problem ist nicht der Preis, sondern das schlechte Angebot
Ich verstehe natürlich, dass Google nicht auf alle Zeit ohne Bezahlung Nutzern einen sehr großen Online-Speicherplatz für ihre Musik zur Verfügung stellen will. Ich hatte mich schon ein wenig gewundert, aber hey, Google wird’s wohl wissen. Klar, wenn ich YouTube Premium abonniere, dann kann ich auch meine bei YT Music selbst hochgeladene Musik weiter auf Audio-Geräte streamen. Ich möchte aber gar keine zig Millionen Songs von YouTube Premium, ich möchte einfach meine selbst hochgeladene Musik weiter streamen können. Warum kann Google nicht einfach Geld für das Streaming selbst hochgeladener Musik verlangen, ohne dass ich gleich einen Millionen-Song-Service abonnieren muss? Warum muss es kundenfeindlich sein? Warum nimmt man den Nutzern etwas weg und bietet nur einen halbgaren Ersatz an?
Hätte Google mir gesagt ‚Hey, Play Music kostet ab jetzt 1,99 € im Monat für unbegrenztes Streaming selbst hochgeladener Musik und schau doch mal hier, für 9,99 € im Monat haben wir auch einen tollen Spotifiy-Konkurrenten‘ – kein Problem, das hätte ich sofort gemacht (und wäre wahrscheinlich über kurz oder lang zum Abonnenten geworden). Aber so bin ich schon allein emotional überhaupt nicht mehr offen für YT Music Premium, keine Chance für’s Stockholm-Syndrom! Und soweit ich weiß, kann man doch bei Spotify auch die eigene iTunes Musik-Bibliothek hochladen, oder?
Schade für die Musik, wahrscheinlich gut für Google. Wo zum Teufel liegt eigentlich mein alter iPod?